Interview mit Prof. Dr. Niko Paech über Wachstum und Wandel (Februar 2023)

Prof. Dr. Niko Paech ist einer der bekanntesten Wachstumskritiker im deutschsprachigen Raum. Er lehrt an der Universität Siegen „Plurale Ökonomik“. Das vom ihm entwickelte Modell der „Postwachstumsökonomie“ hat zum Ziel, das Wirtschaftswachstum zu überwinden und parallel dazu lokale Selbstversorgungsprojekte zu stärken. Diese Art zu wirtschaften wäre laut Paech genügsamer, aber auch stabiler und ökologisch verträglicher. Für den REGIOalgeld-Herausgeber HALLERTAUER REGIOnal – Verein für nachhaltiges Wirtschaften e. V. hielt Paech im Festsaal der Stadt Pfaffenhofen an der Ilm einen Hybridvortrag „Postwachstumsökonomie – Kulturtechniken der Selbstbegrenzung“, der nachträglich auf YouTube angesehen werden kann. Im Nachklang stand er für ein Interview zur Verfügung.

Interwiew

Herr Paech, Sie sagen, dass „Grünes“ Wachstum ein Irrweg sei und die Grundproblematik verschleiert. Warum?

Paech: „Grünes“ Wachstum ist ein Irrweg, weil es nicht einmal theoretisch unter Einhaltung geltender Naturgesetze widerspruchslos darstellbar ist. Der so genannte „Green Deal“ zielt darauf, das aktuelle Wohlstandsmodell nicht infrage zu stellen, sondern gegebenenfalls noch weiter auszubauen. Damit Effizienz, erneuerbare Energien und eine Kreislaufwirtschaft die Ökosphäre entlasten können, muss der Gesamtverbrauch immens sinken, was ohne Wohlstandsverringerung unmöglich ist.

Können wir durch technologischen Wandel und eine schnelle Energiewende die Klimakrise bewältigen?

Paech: Die Energiewende als ein rein technizistisches Unterfangen ist längst gescheitert. Erstens werden die Möglichkeiten der Wind- und Solarenergie fast religiös überschätzt, dabei ist das Problem der notwendigen Speicherung, der Übertragung sowie der notwendigen Elektrifizierung möglichst aller energieverbrauchenden Prozesse völlig ungelöst bwz. lässt sich nur unter Hinnahme zusätzlicher ökologischer Schäden lösen. Umgekehrt werden die Eingriffe in die Landschaften und andere Nebenwirkungen unterschätzt und systematisch verschleiert. Nur eine Änderung des Lebensstils im Sinne reduzierter Wohlstandsansprüche hilft weiter.

Wie müsste sich unser Lebensstil ändern?

Paech: Die hierbei zunächst notwendige Suffizienz bedeutet, die Gesellschaft, insbesondere die Lebensstile zu entrümpeln, also sich freizumachen von all dem Wohlstandsschrott, der entbehrlich ist, weil er viel Geld kostet und die Ökosphäre zerstört. Diese Befreiung vom Überfluss sollte zuvorderst den dekadenten Luxus ins Visier nehmen: Flugreisen, Kreuzfahrten, Autos in der Innenstadt, übermäßiger Konsum an Fleisch, Wohnraum, Textilien, digitalen Endgeräten etc. Wer sein Leben entrümpelt, lebt entspannter. Durch eine Konzentration auf das Wesentliche lässt sich eine höhere Lebensqualität realisieren als in einer reizüberfluteten Konsumsphäre, denn die begrenzte Aufnahmekapazität eines homo sapiens verhindert, dass alles, was Menschen sich leisten können, auch ausgekostet werden kann. Ein weiterer Lebensstilaspekt besteht darin, sich punktuell wieder stärker selbst zu versorgen.

Wo zeigen sich die praktischen Ansätze für diesen Wandel?

Paech: Vor allem in der aufkeimenden Kultur der Reparatur und der Gemeinschaftsnutzung. Wer die Welt retten will, muss die Dinge davor bewahren, zu schnell kaputtzugehen. Die Nutzungs- und Lebensdauer der Konsumgüter müsste verdoppelt oder gar verdreifacht werden. Repair-Cafés schießen wie Pilze aus dem Boden. Immer mehr Menschen haben Freude daran, Dinge zu retten und sie erreichen dadurch mehr Autonomie und Selbstwirksamkeit. Im Grunde ist die Reparatur eine hochgradig politische Handlung – gegen ein System, das nicht zukunftsbeständig ist. So werden aus Marionetten der industriellen Fremdversorgung sog. „Prosumenten“.

Ist die Bevölkerung überhaupt bereit für diesen notwendigen Wandel?

Paech: Mit jeder Krise wächst die Anzahl an Menschen, die nicht mehr an eine Fortsetzbarkeit des derzeitigen ruinösen Lebensstils glaubt, auch wenn es dabei vorläufig noch um eine Minderheit handelt.

Sie sagen sehr deutlich und wissenschaftlich basiert: „Es gibt kein grünes Wachstum!“. Das ist auch ein zentrales Argument mit dem wir uns in Pfaffenhofen gegen ein 38 ha großes Industrie- und Gewerbegebiet wenden, das auf einer fruchtbaren Ackerfläche errichtet werden soll. Als Reaktion darauf kam der Einwand, dass Wachstum reduzieren und Ansprüche zurücknehmen bedeutet, dass die Menschen ärmer werden. Ärmer an Wohlstand. Ärmer an materiellen Werten. Das sei die zwingende Konsequenz, wenn grünes Wachstum abgelehnt wird. Und dadurch würde auch gesellschaftlicher Widerstand erzeugt und gesellschaftlicher Konsens verhindert. Was ist Ihre Antwort auf eine solche Reaktion?

Paech: Ein gesellschaftlicher Konsens, der auf Selbstzerstörung beruht, ist nicht das Papier wert auf dem er gedruckt ist. Und weitere Gewerbegebiete bauen zu lassen, nachdem wir seit dem 2. Weltkrieg unaufhörlich dergleichen haben entstehen lassen, ist einfach nur peinlich. Was ist das für eine Ökonomie, die praktisch – obwohl sie immer effizienter geworden ist, immer mehr Technologie einsetzt – immer noch weiter in die Ökosphäre hineinwachsen muss? Wir müssten doch heute mit viel weniger Fläche auskommen können, also in der Lage sein, ohne weiteren Flächenverbrauch Güter zu erzeugen. Ich kann nur sagen, dass expansive Strategien der Wirtschaftsförderung schlicht und ergreifend vorsintflutlich sind. Es ist notwendig, dagegen kämpfen, allerdings mit friedlichen Mitteln. Eine nachhaltige Entwicklung wird nicht mehr ohne Konflikt zu haben sein. Ohne zivilgesellschaftlichen Ungehorsam, ohne Zivilcourage wird sich der Wandel nicht erreichen lassen.

Was muss ihrer Einschätzung nach alles in die Berechnung einfließen, um mit Fug und Recht sagen zu können, eine Baumaßnahme – wie z. B. das Gewerbe- und Industriegebiet Kuglhof II – sei klimaneutral?

Paech: Aus der Betriebswirtschaftslehre und öffentlichen Planung ist die Lebenszyklusanalyse bekannt, oft auch als Ökobilanz bezeichnet. Das ist eine systematische Analyse der potenziellen Umweltwirkungen und Ressourcenströmen entlang des gesamten Lebensweges eines Objektes. Dieses Verfahren wird auch auf Baumaßnahmen angewandt, oft im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung – wenn man es denn will und dabei ehrlich genug vorgeht. Aber: Selbst wenn es gelänge, z. B. ein Gebäude CO 2 neutral nicht nur zu errichten, sondern auch zu bewohnen, wäre der ökologische Schaden verheerend, weil wir eine solche Knappheit an unversiegelten Flächen haben, dass alleine aus diesem Grund weitere Baumaßnahmen einfach nur noch ruinös sind. Aber zurück zur Ausgangsfrage: CO 2 neutrale Bauaktivitäten sind so gut wie unmöglich. Selbst für eine Holzrahmenbauweise und bei Verwendung ökologischer Dämmstoffe und einer Vermeidung von Kunststoffen ist der Energieverbrauch allein für die Entstehung, die Verarbeitung, den Transport auch vermeintlich regenerativer Baustoffe horrend. Die einzige energiesparende Gestaltung des Gebäude- und Immobilienbereichs besteht darin, nicht mehr neu zu bauen, sondern den vorhandenen Gebäudebestand zu optimieren. Die Bauwut in Deutschland ist einem Luxusproblem geschuldet, das sich hinter der Ideologie eines vermeintlichen Wohnraummangels verbirgt. Mitte der 50er-Jahre wurden in Deutschland im Durchschnitt 15 qm Wohnfläche pro Kopf in Anspruch genommen. Jetzt steuern wir auf 50 qm zu. Natürlich müsste der Wohnraum gerechter verteilt werden. Der Gesetzgeber kann einiges unternehmen, um die sogenannten Heuschrecken oder Immobilienhaie an die Kandare zu nehmen, nicht zuletzt, um die Mietsteigerungen einzuhegen. Aber mit Neubau sind diese Probleme nicht zu lösen.

Was ist die wichtigste Frage, die ich mir privat stellen muss, bevor ich eine Entscheidung treffe für oder gegen eine Investition, einen Kauf oder eine Aktion?

Paech: Es sind drei Fragen, die Sie zu beantworten haben.
Erstens: Handelt es sich um die Befriedigung essentieller Bedürfnisse oder um reinen Luxus?
Zweitens: Wie hoch ist der Schaden?
Drittens: In welchem Verhältnis stehen Notwendigkeit und Schaden? Wie groß ist der ökologische Schaden, der dadurch entsteht?
Zwei Beispiele:
Angenommen, Sie leiden unter einer schweren Krebserkrankung, die nur in Peru operiert werden kann, dann ist die Flugreise zwar ökologisch katastrophal, aber es geht um Ihr Leben, also das basalste aller Grundbedürfnisse. Angenommen, Sie sind glühender Jazzfan und es wird eine sensationelle Aufnahme von John Coltrane entdeckt, dann ist deren Kauf zwar purer Luxus, verursacht aber derart geringen Schaden, dass dieser kleine Luxus verantwortbar erscheint.

Wenn eine Stadt eine Entscheidung treffen muss oder will, gerät sie häufig in einen Zielkonflikt. Wem sollen sie es Recht machen? Den Bürgerinnen und Bürgern? Den Unternehmen? Gibt es auch für Kommunen ein Ziel, das oberste Priorität haben sollte?

Paech: Erstens sollten Kommunen versuchen, ökologisch neutral zu werden. Klimaneutralität ist zwar ein Teil dieses Ziels, muss aber unter der Nebenbedingung verfolgt werden, nicht auf dem Rücken anderer ökologischen Güter ausgetragen zu werden, muss also in einer Kunst der Unterlassung und Selbstbegrenzung anstelle technischer Aufrüstung bestehen. Zweitens und daran anknüpfend sollten die Kommunalpolitik von allen Vorhaben und Projekten entrümpelt werden, die nur viel Finanzen verschlingen, aber keine legitimen Bedürfnisse befriedigen. Drittens sollten Kommunen alles tun, um Bürger und Bürgerinnen autonom und resilient werden zu lassen. Hierzu sind außerschulische Lernorte, Ressourcen-Zentren wie etwa in Oldenburg und Projekte der Selbstversorgung vonnöten. Viertens sollte die Wirtschaftsförderung die Reparatur, den Second-Hand-Handel, die Aufarbeitung und Weiterverwendung bereits vorhandener Güter in den Fokus nehmen. Fünftens ist jegliche Bodenversiegelung strikt zu vermeiden. Neubau kann nur auf bereits versiegelten Flächen erfolgen. Sechstens sollte die Stadt autofrei werden. Siebtens wäre in der Stadtverwaltung ein Postwachstumsmanagement einzurichten.

Wenn Sie, Herr Paech, ein wegweisendes Gesetz erlassen dürften, wie würde es lauten?

Paech: Natürlich wären etliche Gesetze zu nennen, so dass es schwierig ist, nur eines zu nennen. Also gut: Ein Flächenmoratorium wäre eine besonders effektive Wachstumsbremse, denn keine Wertschöpfung, auch keine digitale oder sonst wie als entmaterialisiert inszenierte Wirtschaftsform kommt ohne Flächenraubbau aus.

Vielen Dank für das Interview!

Die Fragen stellte HALLERTAUER REGIOnal Vorstand Manfred “Mensch“ Mayer.
Februar 2023

Literaturhinweise:

  • Niko Paech „Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“
  • Katja Gentinetta contra Niko Paech „Wachstum?“
  • Manfred Folkers/Niko Paech „All you need is less: Eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht“

Siehe auch: postwachstumsoekonomie.de